KonfliktAbility II: Von der „dämonisierten Zone“ in eskalierten Konflikten, Schatten-Ichs und dem Schatz im Matsch

Das irrationale an eskalierten Konflikten:

Warum haben Konflikte immer wieder eine solch destruktive Kraft? Warum sind wir manchmal wie ferngesteuert, handeln irrational und bereuen es später?

Ich bin gerade tief in den Theorien von Friedrich Glasl, wahrscheinlich dem bekanntesten deutschen Konfliktforscher. Sein Eskalationsmodell (die berühmten zehn Stufen) kennen viele. Aber noch spannender finde ich eine seiner zentralen Beobachtungen: In eskalierten Konflikten betreten wir eine „dämonisierte Zone“ – einen Zustand, in dem wir uns selbst und unser Gegenüber verzerrt wahrnehmen.

Die dämonisierte Zone in eskalierten Konflikten: Wenn wir nicht mehr wir selbst sind

Glasl beschreibt diese Zone als etwas fast „Teuflisches“, das sich in den Konflikt einschleicht – allerdings nicht von außen, sondern direkt aus uns selbst. Das kennen wir alle:

  • „Sorry, mit mir ist etwas durchgegangen.“

  • „Ich war nicht ich selbst.“

  • „Ich weiß nicht, was in mich gefahren war.“

  • “wie konnte ich so ewtas nur tun/ sagen?”

In eskalierten Konflikten verwandeln wir uns. Unser Gehirn funktioniert anders. Unsere Wahrnehmung verengt sich, und unser Denken, Fühlen und Wollen folgen festgefahrenen Mustern. Wir idealisieren uns selbst („Ich bin der einzige mit guten Absichten“) und verteufeln unser Gegenüber („Er/Sie will mich absichtlich zerstören“). Feindbilder verhärten sich, und unsere Schatten-Ichs treten an die Oberfläche.

Schatten-Ichs: Wer streitet hier eigentlich?

Unser „Schatten-Ich“ ist der Teil von uns, den wir im Alltag gerne verstecken: unsere wunden Punkte, unterdrückte Wut, verdrängte Ängste. Im Konflikt taucht das alles ungefiltert auf – oft mit voller Wucht.

Wer kennt das nicht? Man steigert sich immer weiter hinein, redet sich in Rage, je “unmöglicher” der andere in unseren Augen wird, desto mehr fühlen wir uns selbstgerecht und überlegen, während das Gegenüber immer mehr zur personifizierten Bedrohung mutiert. Wir sind nicht unser normales Ich, sondern eine extrem verzerrte Version unserer selbst. Das Gegenüber ist das oft auch und so sind wir mitten drin, in dieser „dämonisierten Zone“, wo es nicht selten auch mal gefährlich werden kann.

Die zwei Chancen, die in dieser Zone stecken

Doch in dieser „dämonisierten Zone“ steckt nicht nur Gefahr, sondern auch eine große Chance. Eigentlich sogar zwei.

1. Mediation: Der Weg zurück zur Menschlichkeit

Die dämonisierte Zone ist kein endgültiger Zustand – sie ist eine veränderbare Wahrnehmungs- und Zustandsblase. In einem gelungenen Mediationsprozess passiert genau das:

  • Die Konfliktparteien erkennen nach und nach, dass sie den anderen (und sich selbst!) extrem verzerrt gesehen haben.

  • Feindbilder lösen sich auf, wenn beiden dämmert: „Wir haben uns gegenseitig zu Monstern gemacht – und zwar jeder den anderen.“

  • Gefühle wie Ekel, Haß und Abwehr weichen langsam Empathie, Verständnis und Offenheit sowie einer Klarheit über die eigenen Bedürfnisse und die des Gegenübers.

Nach Glasl – und das deckt sich mit meiner eigenen Erfahrung – sind erfolgreiche Konfliktklärungen immer auch eine Art Katharsis. Menschen verändern ihr Bild vom anderen und von sich selbst. Sie beginnen, nachzuvollziehen, wie das Gegenüber sich im Konflikt gefühlt hat. Ein eigenes, nicht erzwungenes Bedauern tritt ein, wenn dies erkannt wird. Das hat nichts mit Reue oder Schuld zu tun, sondern mit Mitgefühl. Die Stimmung im Raum entspannt sich merklich, ja sogar in den Gesichtern und Augen den Streitparteien kann man diese Veränderung hin zu mehr Offenheit und weniger Härte sehen. (Ich habe letztens von einer Optikerin gelernt, dass Angst und Stress tatsächlich auch einen Effekt auf das Auge haben, die Pupillen werden kleiner, die Muskeln angespannter. Damit erklärt sich, warum sich die Augen während einer gelungenen Mediation sichtbar verändern). Erst dann entsteht echter Spielraum für nachhaltige Lösungen – und nicht nur oberflächliche Kompromisse, die beim nächsten Streit sofort wieder aufbrechen.

2. Selbstreflexion: Dein Schatten-Ich als Lehrer

Die zweite Chance liegt in uns selbst. Unsere Schatten-Ichs sind zwar unberechenbar und alles andere als Vorzeigbar, aber sie sind auch wertvolle Spiegel. Sie zeigen uns unsere wunden Punkte, tief sitzende Ängste oder alte Verletzungen. Wer sein Schatten-Ich besser kennen lernt, kann im nächsten Konflikt bewusster damit umgehen. Es geht nicht darum, diese Seiten zu „eliminieren“, sondern sie zu verstehen – und zu integrieren.

Fragen, die dabaei helfen können:

  • Welche Aussagen oder Handlungen meines Gegenübers triggern mich besonders?

  • Welche alten Wunden werden dabei berührt?

  • Welche Kräfte werden dadurch in mir mobilisiert?

  • Wenn mein Schatten sprechen könnte – was würde er sagen?

Warum selbst Mediatoren in eigenen Konflikten versagen können

Und noch eine Erkenntnis aus diesem Modell: Auch die besten Konfliktcoaches sind nicht immun gegen die dämonisierte Zone.

Warum können selbst erfahrene Mediatoren ihre eigenen Tools nicht anwenden, wenn sie selbst in einen hitzigeren Konflikt geraten? Weil sie genau wie alle anderen in diesen Zustand gezogen werden. Ihr Gehirn schaltet um, ihr Denken wird einseitig, ihre Emotionen fahren Achterbahn. Sie brauchen – wie jeder andere auch – eine Brücke zurück zur Menschlichkeit.

Das bedeutet: Es ist völlig normal, in eskalierten Konflikten den Überblick zu verlieren. Und es zeigt, warum es oft klug ist, sich Unterstützung zu holen, wenn ein Konflikt eskaliert.

Fazit: Der Schatz im Matsch

Konflikte sind anstrengend, sie tun weh, und sie können Beziehungen und Projekte und manchmal sogar Menschen zerstören. Sie bergen aber auch Chancen: wenn wir verstehen, was mit uns passiert – wenn wir unser Schatten-Ich kennenlernen und lernen, den Weg aus der dämonisierten Zone zurückzufinden – dann kann ein überstandener und geklärter Konflikt auch zu mehr Klarheit über dich selbst und Dein Schatten-ich führen und Wachstum, Verbindung und Vertrauen ermöglichen.

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KonfliktAbility I: Haben wir Konflikte – oder haben Konflikte uns?