Von der Krise in die Selbstwirksamkeit
Entwicklung in Zyklen:
Ich habe den Eindruck, dass unser Leben, zumindest wenn wir es auf kontinuierliches Lernen, Offenheit und Entwicklung ausrichten, in diesen Zyklen verläuft:
stabiler Zustand oder sogar Hoch
Verlangsamung, Innehalten, erstes Zögern, Zweifeln
kleinere oder größere Krise
Schritte der Veränderung
ein neuer stabiler Zustand
...und dann wieder von vorne.
Die einzelnen Phasen können länger oder kürzer sein, die Krisen stärker oder schwächer. Ich glaube, das ist der Gang der Dinge, wenn wir uns für eine kontinuierliche Entwicklung entscheiden.
Reframing Krise: Anfang eines Entwicklungszyklus
Zyklen kann man ja da beginnen lassen, wo man will, weil sie Zyklen sind. Wenn der oben beschriebene Zyklus nicht beim stabilen Zustand starten würde, sonder bei der Krise, wäre deutlich, dass Krisen nicht einfach nur unangenehm sind, sondern auch der Anfang von einem neuen Entwicklungszyklus.
Entwicklungsprozesse beginnen so gesehen also meist mit einer Art von Krise, größerer oder kleinerer Dimension, in die wir hineinrutschen, wenn sich Veränderungen aufdrängen, für die wir (aber) noch keine Lösungen sehen.
Unser Gemüt verdunkelt sich, wir werden nachdenklich oder grüblerisch, sind nicht mehr so gut drauf, irgendwo drückt der Schuh, und manchmal fallen wir in ganze Grübel- und Gedankenschleifen, denen wir nur temporär durch Ablenkung oder Betäubung entkommen zu meinen und die manchmal einen heftigen Einfluss auf unser Gesamterleben haben können.
Das ist unangenehm und in manchen Fällen braucht es dann professionelle Hilfe, damit wir aus der Krise wieder herauskommen. In vielen Krisen aber hilft auch schon ein anderer Blick auf einer Krise – Krise als Ausgang eines neuen Entwicklungszyklus - sowie ein Wissen darüber, wie wir aus dem Zustand von Krise durch Erfahrungen der Selbstwirksamkeit wieder Schritt für Schritt „Land gewinnen“ und dabei außerdem unser Leben verändern.
Mel Robins: 5 Second rule
Sehr inspirierend fand ich dazu die US-Amerikanische Coachin Mel Robins, die in ihrem Buch „the five second roule“ sehr anschaulich ihren eigenen Weg aus einer großen Lebenskrise und die vielen weiteren Wege aus kleineren Krisen hinaus mit Hilfe der 5 Second Rule meisterte.
Warum 5 Sekunden? Zwischen unseren Impuls z.B. trotz Krise morgens aus dem Bett zu springen und die Sachen zu tun, die zu tun sind, und unserem hinterlistigen Gedanken, die dann in Folge verhindern, dass wir die Sache angehen, liegt ein sehr sehr kurzes Zeitfenster. Es ist nicht mal 5 Sekunden lang. Wenn wir dieses Zeitfenster verpassen, haben wir zwar morgens vielleicht den Impuls endlich mit dem Wecker aufzustehen und die Dinge zu tun, die es anzupacken gilt, oder Abends nicht das Glas Wein zu trinken um uns von den Sorgen zu befreien, aber der Kopf springt rein und redet uns weg von unserem Impuls.
Das führt dann dazu, dass wir abends im Bett liegen und morgens endlich alles angehen wollen, aber dann doch noch eine Runde liegen bleiben. Oder das wir abends doch das Glas Wein trinken, um uns besser entspannen zu können trotz der Grübelei und dann morgens nicht fit sind. Wir können in solchen Dynamiken ewig hängen bleiben, wenn wir nicht aufpassen. Und dann zieht sich die Krise – manchmal sogar ein Leben lang.
5-4-3-2-1-go!
Was braucht es statt dessen? Einen kräftigen Tritt in den eigenen Hintern, der außerdem schnell geht. Mel Robins identifiziert mit wissenschaftlichem Back-up aus der Hirnforschung ein Zeitfenster von unter 5 Sekunden, was uns zwischen Impuls, Dinge anzupacken und unseren boykottierenden Gedanken zur Verfügung steht. Das ist die Lücke, in die wir hinein intervenieren müssen, um in der Lage zu bleiben, unserem ursprünglichen Impuls zu folgen.
Mehr oder weniger durch Zufall hat Mel Rogins dabei für sich einen Countdown rückwärts von 5-4-3-2-1-go! entdeckt. Ich wache also auf, weil mein Wecker klingelt, z.b. für die Morgenpraxis von der ich weiß, dass sie mir besonders in einer Krisenphase gut tut. Bevor ich anfange zu denken, zähle ich 5-4-3-2-1 rückwärts und springe bei 0 aus dem Bett. Ich gehe ein Paar Schritte in die Küche, um nicht zurückzufallen, mache mir einen Kaffe oder Tee und beginne meine Praxis.
Oder der Vorsatz abends nicht zu trinken. Ich bin Zuhause. Und merke schon wie gleich ein Zögern aufsteigen wird und bevor ich denke “ach ein Glas Wein kann doch nicht schaden!” zähle ich 5-4-3-2-1-0 und mach mir einen Tee. Oder ich habe ein unangenehmes Gespräch vor mir, bei dem ich vielleicht eine Klarheit ausdrücken möchte, die mir wichtig ist, und mein Geist setzt schon an, um mich davon zu überreden, dass es genau heute dafür kein guter Tag ist, und bevor ich einsteige diese Gedanken zu denken, zähle ich 5-4-3-2-1-0 und bleibe bei meiner Entscheidung, das Gespräch heute zu führen, auch wenn es unangenehm ist.
Klingt albern? Oder für die, die in einer handfesten Krise stecken höhnisch? Fand ich auch. Aber dann habe ich es ausprobiert, am eigenen Leib und es funktioniert. Nicht immer.. aber eigentlich vor allem immer dann nicht, wenn ich vergesse die 5 second rule wirklich anzuwenden und statt dessen einfach nur dran denke, das man das ja jetzt machen könnte..
mit 5-4-3-2-1 in unseren Frontallappen:
Wie gesagt: manche Krisen können wir nicht alleine und nicht durch Rückwärtszählen anpacken – aber viele „normale“ Krisen eben schon. Das Rückwärtszählen bringt uns direkt in unseren Frontallappen. „ir müssen uns konzentrieren, weil rückwärts zählen nicht routiniert ist, und im Frontallappen lebt unsere Autonomie und Handlungsfähigkeit. Wenn wir aus dem Frontallappen heraus steuern, können wir gut in Selbstführung gehen, sind wir handlungsfähig.
Dann machen wir den einen Schritt am Morgen, der vielleicht zu einem guten Start in den Tag führt. Und dann machen wir den nächsten Schritt, der vielleicht dazu führt, dass wir uns unserer aktuellen Situation stellen (z.B. offene Rechnungen bezahlen), dann machen wir den nächsten Schritt, und schreiben eine Bewerbung oder führen ein unangenehmes Gespräch.. in vielen kleinen Schritten, zu denen wir uns durch 5-4-3-2-1-go schupsen, erleben wir, dass manche Dinge zwar unangenehm einerseits sind und andererseits trotzdem mit jedem Schritt den wir geschafft haben, unsere Stimmung steig. Was wir erleben ist Selbstwirksamkeit, und Selbstwirksamkeit zu erleben ist ganz zentral dafür, um aus einer Krise aus eigener Kraft herauszukommen.
Empathie oder Tritt in den eigenen Hintern?
Das heißt nicht, dass es nicht auch gut ist, in einer Krise mal eine oder mehrere gehörige Portionen Empathie zu bekommen. Das hilft auch ein Stück weit, manchmal. Aber wenn es um Veränderung geht, braucht es danach trotzdem noch die Handlungsfähigkeit: etwas tun, um Veränderung zu erzielen. Da reicht Empathie alleine häufig noch nicht aus. Manchmal kann „nur“ Empathie sogar auch den Krisenzustand verschlimmern. Also deshalb: Empathie in Krisen ja – aber dann auch noch dafür sorgen, dass ich mir selbst durch 5-4-3-2-1 einen freundlichen aber bestimmten Schubs gebe. Und dann in Schritten, die nicht zu groß sind, Schritt für Schritt das tue, was getan werden muss, damit ich in den nächsten stabilen Zustand/ Hoch komme.
Mit einem solchen Tool in der Hand um aus Krisen herauszusteuern und dem Wissen, dass Krisen der Anfang von einem neuen Entwicklungszyklus sind, ist es immer noch unangenehm in einer Krise zu stecken. Aber gleichzeitig kann ich so auch (manchmal) neugierig auf eine Krise gucken, neugierig darauf, was ich wohl aus dieser Krise heraus entwickeln werde. Und ein klein bisschen Vorfreude auf den nächsten stabilen Zustand, das nächste Hoch meldet sich dann sogar auch.